Für die Tonne

Gedankenwelt
!! CN/TW: Seelische Gesundheit, Erwähnung von Essstörung & Mobbing !!

Flashback in meine Teenagerzeit

Damals war ich ca. 16 Jahre alt, ging in der Stadt zur Schule und wog um die 85 kg. Für meine Größe zehn Kilo zu viel und das habe ich auch oft zu hören bekommen. Damals lebte ich natürlich noch bei meinen Eltern, die Schule war über 20 km entfernt und ich musste früh aus dem Haus, damit ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln rechtzeitig um acht Uhr im Unterricht saß. Für einen Morgenmuffel wie mich absolut tödlich.

Jedenfalls war es einer dieser Tage, an denen unglaublich viel los war und ich eigentlich nur auf Achse. Ich war damals schon jemand der nicht frühstückte, weil ich morgens um fünf einfach nicht essen konnte. In der Schulpause muss irgendwas anderes gewesen sein, weswegen ich nicht gegessen hatte. Heute weiß ich aber nicht mehr, was es war. Tatsächlich habe ich irgendwann nicht mal mehr gemerkt, dass ich Hunger hatte.

Zumindest bis zu diesem Zeitpunkt

Ich stieg in der Innenstadt aus der Straßenbahn und den verführerischen Duft von… ja von allem möglichen roch. An dieser Haltestelle war ein kleiner Pizzastand, eine Dönerbude, ein Vietnamese, gegenüber ein Bäcker. Man wurde quasi erschlagen von leckeren Gerüchen und mein Magen reagierte alsbald. Er zwickte und knurrte und ermahnte mich inständig endlich etwas zu mir zu nehmen.

Ein Glück hatte ich noch die belegten Brote, die mir meine Mutter am Morgen mitgegeben hatte. Diesmal keine selbst geschmierten, ich weiß noch, dass es diese dreieckigen Sandwiches waren, die man im Aldi kaufen konnte. Damals wollte ich sie einfach mal probieren und mit in die Schule nehmen, also kamen sie damals mit in den Einkaufswagen. So stand ich nun also an dieser Haltestelle und kramte mein Essen aus dem Rucksack, während die Straßenbahn in der ich eben noch saß, langsam aus der Haltestelle zuckelte und quietschte.

Verrückt wie mir manche Einzelheiten im Gedächtnis geblieben, andere aber völlig abhandengekommen sind. Ich weiß noch wie ich an der Packung herum gemurkst habe, bis ich sie öffnen konnte. Erinnere mich noch an den Geschmack und das wohlige Gefühl, dass sich endlich in mir ausbreiten konnte. Auch daran wie die nächste Straßenbahn einfuhr. Immer noch nicht jene auf die ich wartete, aber jene die meine Einstellung zum Essen in der Öffentlichkeit für knapp zwanzig Jahre verändern sollte.

Ich, die zerbröselnde Salzsäule

Als die Straßenbahn endlich unter ohrenbetäubendem Quietschen zum Stehen kam, sah ich mich zwei Mädchen gegenüber. Getrennt von der Scheibe und den Umgebungsgeräuschen konnte ich nicht hören, was sie sagten, doch sie deuteten auf mich und ahmten meine Kaubewegungen nach. Die eine plusterte die Backen auf, die andere lachte. Sie deuteten an, wie fett ich wäre und lachten wieder. Schon lange hatte ich aufgehört zu kauen, der letzte Bissen dieser leckeren Mahlzeit blieb mir förmlich im Hals stecken.

Wie zu einer Salzsäule erstarrt stand ich da und starrte auf diese beiden Mädchen, die sich immer mehr und mehr über mich lustig machten. Das alles geschah innerhalb weniger Minuten. Die Straßenbahn stand nicht ewig dort. Doch es reichte, um meine Welt noch mehr zu zerstören. Als die Straßenbahn nun doch endlich losfuhr, wanken mir die beiden Mädchen zum Abschied zu, machten blöde und beleidigende Grimassen dabei und verschwanden dann für immer aus meinem Blick.

Als ich mich endlich wieder bewegen konnte, sammelten sich Tränen in meinen Augen, ich starrte auf das Brot, hörte meinen Magen knurren, der gern den Rest gehabt hätte. Doch ich warf es weg, wollte einfach nur dieses schlechte Gefühl loswerden und ließ das restliche Sandwich in seiner Verpackung direkt in die Mülltonne fallen.

Der Fehler liegt bei mir

Mir war schon damals klar, dass ich es niemandem erzählen kann, denn immer, wenn ich von solchen Begebenheiten erzählte, wurde mir gesagt, dass ich „einfach nur darüber stehen muss“ oder gar dass ich „mir das alles nur einbilde.“ Mag sein, dass die Mädchen nur Spaß gemacht haben, doch für mich, die eh schon von Mobbing geschädigt war, war dies ein sehr einschneidender Moment. Und es hilft nicht, wenn man dann die Schuld zugewiesen bekommt oder mit einer Floskel abgewiegelt wird.

Fakt ist, dass es mir noch heute schwerfällt mitten in der Öffentlichkeit zu essen, vor allem dann, wenn es nicht in einem Café oder Restaurant ist, sondern auf offener Straße. Und sollte ich in einem solchen sitzen, versuche ich mich auf mein Gegenüber zu konzentrieren und alles andere was ich wahrnehme möglichst auszublenden. Denn oft weiß ich aufgrund dessen was ich als Kind und Teenager immer gesagt bekommen habe, gar nicht mehr, ob etwas Einbildung ist oder wirklich geschieht. Ich überlege fieberhaft, wie man über etwas steht, habe darauf aber bisher keine Antwort gefunden.

Bildquelle: Amel Majanovic
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